Schlachtfest bei den Wickingern

Alle Jahre wieder zur kalten Frühjahrszeit veranstalten die Wickinger ein großes Schlachtfest, um die Essensvorräte für die kommenden Monate aufzufüllen. Umfangreiche Vorbereitungen sind notwendig, damit die ganze Sippe sich mit verschiedenen Fleischprodukten eindecken kann. Traditionell wurden früher mehrere Wickinger losgeschickt, um Frischfleisch zu besorgen. Damals war dies noch aufwendig, denn mehrere Wildscheine mussten erlegt und zerteilt werden.

Heute leben die Schweine in festen Behausungen und müssen nur noch klangheimlich zusammengetrieben und zerteilt werden. Da hierfür jetzt nur noch ein Wickinger zuständig ist, sind die neuen Jagdmethoden recht unbekannt. Besonders praktisch ist, dass die Fleischteile fertig portioniert in Folie eingeschweißt zur Verarbeitung am Bootshaus ankommen. Zusätzlich wird stets eine besonders geschickte Wickingerin rechtzeitig losgeschickt, um auf den Handelsstraßen gen Orient frische Gewürze zu erbeuten. Denn erst die richtigen Gewürze machen die Erzeugnisse zu wahren Spezialitäten.

Nach diesen aufwändigen Vorbereitungen war es am Samstag, den 20.02. wieder einmal soweit: Die Verarbeitung des Beutegutes sollte stattfinden. Schon zur dunklen und unheimlichen Morgenstunde hatte die Vorhut das Feuer unter dem gigantischen Siedekessel angefacht und das Umfeld des Bootshauses vorbereitet. Das Wetter war wie bestellt: Kalt und trocken, ja sogar der Baggersee war noch zugefroren. Nun konnte die Verarbeitung beginnen. Zunächst mussten in einem aufwändigen Verfahren die letzten Borsten von der Schwarte entfernt werden und ganze Schweinestücke wanderten in den riesigen Kochtopf. Nun ging es an die Wurstzubereitung. Gigantische Mengen von Frischfleisch wurden zerschnitten, mit Geschmacksträgern (Fettreifen) vermischt und in einem aufwändigen Verfahren zu winzig kleinen Metstücken zerkleinert. Hierzu war von den Wickingern eine besondere Maschine erfunden worden, die durch reine Muskelkraft angetrieben wird und aus großen Fleischstücken diese feinen Metstücke macht. Lange haben die Wickinger nach einem Namen für diese Maschine gegrübelt und haben ihr dann schließlich den Namen eines Raubtieres gegeben: Wolf, genauer gesagt: Fleischwolf.

Zum Antrieb des Fleischwolfes kommen natürlich nur die stärksten Wickinger zum Einsatz. Aufwändiges Krafttraining im Vorfeld ist notwendig und der Muskelkater hinterher ist garantiert. Aber das Ergebnis in Form von feinstem Met ist dann auch traumhaft. Nun beginnt der geheime Teil der Zeremonie. Extra hierfür kommt  jedes Jahr ein Blutsverwandter des Wickingerstammes angereist, um die exotischen Gewürze zu kombinieren, die den wahren Geschmack erst ausmachen. Zwar wurden bereits verschiedene Zutatenlisten erstellt, aber diese dienen nur der Ablenkung. Der wahre Geschmack kommt offenbar aus dem Handgelenk.

Nun wird die gesamte Met-Masse stundenlang geknetet und gewendet bis sie dann in die Wurstmaschine kommt. Diese Maschine ist nun das wahre Herzstück der Wurstzubereitung. Aufwändige mechanische Untersuchungen und Tests haben sie perfektioniert. Zur Bedienung werden 4 Personen benötigt: ein Stupferle, ein Leierle, ein Dreherle und als Chef der Pariserle. Die Funktionen sind streng hierarchisch gegliedert und erst nach jahrelanger Erfahrung kann man von Stupferle zum Leierle aufsteigen. Die Funktion des Dreherle kann erst nach schwierigen Prüfungen übernommen werden und die Tätigkeit als Pariserle wird von einer Generation auf die nächste vererbt.

Bei der Wurstherstellung ist höchste Konzentration erforderlich und gelegentlich gibt es schallendes Gelächter, wenn der Chef bei der Bestückung der Wurstmaschine eigenartige Geräusche erzeugt.  Als Endprodukt gibt es eine unendlich lange Rohwurst, die nun in handliche Teile zerteilt werden muss. Diese  Tätigkeit obliegt traditionell dem angereisten Blutsverwandten und gelegentlich darf unter seiner Aufsicht auch ein unbedarfter Laie sein Glück versuchen. Der Abtransport der Fertigware erfordert wiederum viel Fingerfertigkeit, denn die Paare müssen ordentlich auf die Trockengestänge aufgehängt werden, die im ganzen Bootshaus angebracht wurden.

Pünktlich zur Mittagszeit wurden erste Fleischstücke aus dem  großen Sudkessel entnommen und zur Verkostung gebracht. Mit einigen der orientalischen Gewürze schmeckte dieses Mahl überaus köstlich und die Vorfreude auf die Wurstprodukte stieg.
Nach dem Essen wurde unverzüglich mit der Herstellung einer zweiten Spezialität begonnen. Hierzu wurden den gekochten Schweineteilen die Knochen und unappetitlicher Beirat entfernt und das Fleisch in grobe Stücke geschnitten. Wieder folgte die geheimnisvolle Würzung der Rohmasse und in Handarbeit wurde diese Masse in große „Tüten“ gefüllt, verknotet und im Sudkessel nochmals gekocht.

Nach etlichen harten Arbeitsstunden konnte am späten Nachmittag das Ergebnis bewundert werden. Unendlich viele leckere Paprikawurst-Paare zierten das Bootshaus und der Schwartenmagen lag auf den Tischen zum auskühlen. Nun begann die Verteilung der Produkte an die anwesende, bedürftige Wickingerschar, deren Wintervorräte bereits seit Wochen aufgebraucht waren. Zunächst erfolgte die Verteilung an die Mitglieder des Ältestenrates bevor die anderen Mitglieder ihren streng rationierten Anteil erhielten. In diesem Jahr waren ausnahmsweise keine Verletzten zu beklagen, denn normalerweise liefern sich die Wickinger heftige Stammeskämpfe bei der Verteilung der leckeren Wursterzeugnisse. Gegen Abend wurde das Schlachtfest der Wickinger aufgelöst und die Stammesältesten sind sich sicher, dass es wieder ein wichtiger Eintrag im großen Buch der Wickinger wert war. Ein herzlicher Dank an Sylvia, Frank und Franz für die Organisation und Durchführung.

S.H.

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